Unser leider vorerst letzter Berührungspunkt, mit der tief ans Herz gewachsenen kurdischen Kultur, stellt die Region des Hawraman in Iran dar. Direkt an der wilden, weil gebirgigen Grenze zum Irak gelegen.
Viehwirtschaft und Hirtentum bilden seit Jahrtausenden das Rückrat der hier lebenden Menschen. Ähnlich der Weidewirtschaft in den uns bekannten Alpen, werden höherliegende Täler im Sommer bewirtschaftet, die jedoch im Winter bedingt durch Schneefall und Eis unzugänglich sind. Das Angebot an endemischen Kräutern und Medizinalpflanzen erscheint unerschöpflich. Die Luft ist rein und die Böden fertil.
Entsprechend der Einzigartigkeit und nach wie vor praktizierten kulturellen Besonderheiten, wurde die Region vor knapp einem Jahr von der UNESCO zum Weltkuturerbe erklärt.
Uraman Takht, der ehemalige Herrschersitz der Clans der Goran- und Dschaf- Kurden, bildet den kulturellen Mittelpunkt und den Hauptort der Region. Im, auf tausendfünfhundert Meter gelegenen Städtchen, trägt man noch mit Stolz die hier eigentümliche kurdische Tracht. Der Ort ist nahezu gänzlich in der hier typischen Trockenmauertechnik gebaut. Dies bedeutet, dass beim Bau der Häuser auf jeglichen Mörtel verzichtet wird und die Steine so ausgerichtet werden, dass sie eigenständig ineinander greifen. Eine Besonderheit stellen ebenso die, bedingt durch die Hanglage, treppenartig angeordneten Häuser dar.
So befindet sich der Lebensmittelpunkt einer Familie auf dem Flachdach der darunter wohnenden Familie. Hier wird die Hausarbeit erledigt, Wäsche versorgt, die Kinder spielen oder Früchte und Nüsse werden getrocknet. Man kann annehmen, dass auch diese Tatsache des engen Miteinanders und Teilens, den Zusammenhalt der hier lebenden Familien zusätzlich stärkt.
Die Stadt liegt an der Granze zum Irak, welche über verschlungene und bis weit ins Jahr hinein verschneite Gebrigspfade erreicht werden kann. Auf diesen Pfaden bewegen sich, stillschweigend geduldet von den Grenzbeamten, die Schmuggler mit einem ständigen Warenstrom vom Fernseher, über Microwellenofen bis zum Kühlschrank. So werden mit purer Muskelkraft Waren unter Umgehung der Zollschranken nach Iran transportiert. Fernseher, die in Wohnküchen dieser Region flimmern, kommen mit nahezu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit aus Irak und damit dem Rest der Welt. Hier verdient Teheran keinen Cent, das Satellitenprogamm und damit auch die Verheißungen der verpöhnten westlichen Welt, erscheint in dieser abgeschiedenen Gegend näher als im Rest des Landes.
Leider wird einem auch schnell vor Augen geführt, dass die Kurdenregion für die Teheraner Regierung offensichtlich ein gewisses Sicherheitsrisiko darstellt. Die Kurden stellen in Iran erneut eine argwöhnisch beäugte Minderheit dar, den türkischen Verhältnissen sehr ähnlich.
Wir passieren ettliche Militär- und Polizeicheckpoints und dürfen uns immer wieder erklären, was wir hier machen. Jedes Dorf hat hier seinen eigenen schwer bewaffneten Polizeiposten. Mit Maschinengewehrlafette und Aussichtstürmen, wirken diese wie mittlealterliche Zwingburgen. Das Verhalten der Staatsmacht erinnert hier folglich auch eher an feudales Gebahren, als an einen Staat des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Die wirtschaftliche Situation der Provinz Kordestan ist schlecht, neben Belutschistan an der Afghanischen Grenze, stellt sie das Armenhaus des Iran dar. Die Analphabetenquote ist eine der höchsten im Lande, auch dies könnte man als Druckmittel gegenüber der Bevölkerung begreifen.
Religiöse Vorschriften die im zentralen Teil des Iran Standard sind, werden hier eher interpretiert. Die Rolle der Frau, im Iran von manch Konservativem als stummes Beiwerk zum männerdominierten Allltag verstanden, zeigt sich hier gestärkt mit eigenständigem Willen und einer lautstarken Stimme. Trotzdem herrscht auch hier die klassisch patriachalisch geprägte Rollenverteilung im Alltag.
Der Mann diskutiert die Probleme der Welt bei Tee und Zigarette, während die Frau den Haushalt managed und die Kinder versorgt.
Jedoch kann man, zwangloser als im Rest des Landes, zwischen den Geschlechtern aufeinander zugehen und miteinander reden. Wir werden sogar von der Hausherrin zum Tee eingeladen, sitzen ungezwungen zusammen und halten ein Schwätzchen, während der Hausherr ausgeflogen ist. Ein kulturelles NoGo in Iran.
Dementsprechend wird die Region auch gehäuft von Großstädtern aufgesucht, welche hier bei Wandertouren, Rafting oder Klettern eine unkonventionelles Outdoorerlebnis suchen. Die kulturellen Highlights und die ungezwungene Atmosphäre wirken dabei zusätzlich befreiend, auf den vom Alltagsstress geplagten Büroangestellten.
Bei Wanderungen durch eine endlose Anzahl von Schluchten und Canyons, vorbei an Granatäpfel- und Nussbaumpflanzungen, kann einem schon mal das Vergleichsbild eines paradisischen Gartens aus der von der Sonne geblendeten Gedankenwelt entweichen. Vergisst man doch zu schnell im kühlen Nass, unter welchen Strapazen und ohne technische Hilfsmittel, Terassenfelder und Trockenmauerwerk angelegt werden mussten.
Der kleine Ort Palangan, welcher von der Provinzhauptstadt Kermanshah aus leicht erreichbar ist, hat sich mittlerweile zu einer Art Ausflugsziel entwickelt. Ein moderater Kulturtourismus hat sich rund um das verträumte Dorf entwickelt. Die Bewohner stört dies wenig, können sie doch nur bedingt daran teilhaben. Zu wichtig ist es nach wie vor das Vieh zu versorgen, die Felder zu bestellen und die täglich anfallende Hausarbeit zu bewältigen.
Es ist ein entbehrungsreiches Leben, im Rhythmus der Jahreszeiten, das sich einem präsentiert. Eine Welt, welche uns archaisch und überholt erscheint und doch die Alltagsrealität der meisten Menschen unseres Planeten bildet.
Jetzt lassen wir also die kurdische Kultur mit ihrer gelebten Gastfreundschaft und überaus großen Herzlichkeit hinter uns und begeben uns in den nicht weniger gastfreundlichen Zentraliran. Wir vermissen die ungezwungene Atmosphäre, die liebgewonnene Kultur und die wilddramatische Natur bereits jetzt, freuen uns jedoch auf neue Abenteuer.
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