Hajastan leidet. Die melancholische Grundstimmung die das Duduk, dass Nationalinstrument der Armenier, eine Art Klarinette, auszudrücken weiß, spricht scheinbar direkt aus der Seele des gebeutelten Landes.
Auch wenn Mongolenstürme oder die islamische Landnahme bei uns weniger ein Begriff sind, so wissen wir mittlerweile doch auch in Deutschland, um den Genozid an den Armeniern im Schatten des ersten Weltkriegs. Man hat vom Berg Karabach Konflikt gelesen, einem schweren Erbe der aktiven Verdrängungspolitik der Soviet- Ära.
Nach Perestroika und Glasnost, tat sich das Land, eingebettet zwischen reicheren und etablierten Nachbarländern schwer, seinen Platz in der Welt zu behaupten. Die Wirtschaft lag, wie in vielen Teilen der Soviet Union, am Boden und es fehlte an zukunftsweisenden Ideen und Technologien. Auch wenn die Augen mittlerweile stark nach Europa schielen, will man sich vom russichen Wirtschaftsraum nicht entsagen und muss Absatzmärkte nutzen, wo sie sich auftun. Zu gering scheint die armenische Rolle im kapitalistischen Konkurrenzkampf.
Sovietcharme prägt nach wie vor das ganze Land und Yerewan, die Hauptstadt, im Speziellen. Auch wenn man längst versucht seine Altlasten abzuschütteln, zeigt sich baulich nach wie vor, dass ehemals von Moskau diktierte Schönheitsideal. Die vielen Parks und Grünanlagen der Stadt, lassen einen die Nöte des Landes schnell vergessen. Beim Gang durch Yerewan fragt man sich jedoch auch, wo das Geld aus Entwicklungshilfe und Aufbaufonds landet. Die überproportionale Präsenz von Luxuslimousinen und getunten Mercedes- Geländewagen, lassen manchen kritischen Gedanken entstehen.
Auch die Natur schafft es nicht, dass kleine Land im Kaukasus zu schonen. Immer wieder erschüttern schwere Erdbeben das Land, welches sich stark dem Vulkanismus ausgesetzt sieht. So wird das armenische Hochland nach wie vor unbarmherzig und allgegenwärtig geprägt und geformt.
Wie um eine Versöhnlichkeit zu schaffen, zeigt sich das Land von der Vulkanasche gedüngt und schafft so fruchtbarsten Ackerboden, der intensiv genutzt werden kann. In den Sommermonaten wirken die Vulkankegel wie riesige Heuberge, die nur noch für den Winter abgeerntet werden müsssen.
Dass Vulkanismus durchaus auch heilsame Effekte haben kann, wird einem im Kurort Jermuk bewusst. Das Wasser, welches hier mit bis zu sechzig Grad aus den Fontänen strömt, hilft bei rheumatischen- und Gastrointestinalbeschwerden aller Art. Der einstige Glanz mag wohl etwas verblasst sein, dass Wasser abgefüllt in Flaschen ist im ganzen Land nach wie vor der Verkaufsschlager. Letztlich eignet sich der geruhsame Ort mit seinen Sanatorien, auch einfach als Ausflugsziel am Wochenende.
Die wilde Schönheit der Natur und manche Ablenkung unserer Neuzeit, lässt den ein oder anderen das entbehrungsreiche Leben der Armenier leicht verdrängen. Nach wie vor herrschen jedoch, notgedrungener Maßen, die sozialistischen Grundprinzipien im Alltag vor: Nachbarschaftshilfe, reparieren, organisieren. Von den vier Millionen Inlands- Armeniern, lebt eine Million in der Hauptstadt Yerewan, der Rest als Selbstversorger auf dem Land. Ein Großteil der Armenier lebt jedoch in der Diaspora im Ausland und versucht von dort, die im Land Gebliebenen, zu unterstützen.
Henrik und seine Frau waren Lehrer an der örtlichen Schule. Er lehrte Physik und hatte den Rektorenposten inne, Sie unterrichtete russisch. Das Wort Rente kennen die zwei, davon Leben können sie nicht.
In Armenien beträgt die Rente, je nach vorherigem Berufsfeld, zwischen neunzig und hundertfünfzig Euro im Monat. Das reicht hinten und vorne nicht, denn Lebensmittel im Supermarkt sind teuer. So muss das Paar, mit ihren über siebzig Jahren, nach wie vor ihren Garten bestellen und im Sommer für den anstehenden Winter vorsorgen. Sie leben in Tatev, ganz in der Nähe des berühmten Klosters, die Besucherströme sehen sie von Weitem an ihrem Haus vorbeiziehen. Vom Geschäft mit den Touristenmassen profitieren sie jedoch nicht.
Neben Landwirtschaft war Armenien auch schon immer eine Nation der Steinbearbeitung und des Bergbaus. Basalt und Gold, jedoch vor allem Kupfer, wird heutzutage abgebaut. Die Technik mit der die Natur ausgebeutet wird, stammte einst aus Moskau, genutzt wird sie nach wie vor. Die Mine und Bergarbeiterstadt Kadjaran versucht sich daran den Berg abzutragen.
Im Tagebau wird rund um die Uhr gearbeitet. Die verdienten Helden der sozialistischen Republik konnten sich zu Sovietzeiten über ein gutes Auskommen und eine eigene Wohnung in der Platte freuen. Heutzutage sind diese Wohnungen immer noch begehrt, entsprechen allerdings längst nicht mehr dem Standard der Zeit.
Anders zeigt sich Alaverdi, hier wurden die Kumples bereits nach Hause geschickt. Zu unrentabel war die Mine, zu aufwändig die Schürfverfahren. Nach mehreren erfolglosen Neuanfängen, stehen die Förderbänder aktuell still und rosten vor sich hin. In die Schächte fährt niemand mehr ein. Der pulsierende Muskel der Stadt scheint eine Aortenklappeninsuffizien zu haben, hier fließt nichts mehr.
UAZ, Lada, Ural- wer einmal in einem postsovietischen Land unterwegs war, sollte diese Begriffe kennen. In Armenien besiedeln sie nach wie vor die Straßen. Die Technik lässt sich reparieren und scheint für die Ewigkeit gebaut zu sein. Auf den teils antiquirt wirkenden Straßen, benötigt man robustes Gerät und viel Schmieröl. Glaube an den Gott der Technik und die dementsprechenden Gebete, scheinen der armenische Beitrag zum Erhalt zu sein.
Was heute auf der Ladefläche rostiger Fahrzeuge transportiert wird, vollbrachten einst die Karawanen, die durchs Land zogen. Überall finden sich Spuren der historischen Warentransporte auf der Seidenstraße. So boten Karawansereien schutz vor Räubern und dem unbeständigem Wetter, Brücken gewährleisteten auch bei Hochwasser die Passage durch so manch reissenden Gebirgsfluss.
Ungefähr zehn Karawansereien können im Land lokalisiert werden. Besonders am berühmten Vardenyats Pass, lässt sich in der Orbelian Karawanserei noch gut das Flair der einstigen Fernstraße spüren. Im Schatten der Kaukasusberge, packt einen besonders schnell das Fernweh.
Schon früh kommen wir in Berührung mit den erneut aufgerissenene Wunden, welche durch den wieder aufgeflammten Berg Karabach Konflikt verursacht wurden. Erneut sieht sich die armenische Seele einem tiefen schwarzen Loch gegenüber. In vierundvierzig Tagen starben dreitausend armenische Soldaten. Gehap hat ihren zweiunddreißigjährigen Sohn verloren. Dieser hinterlässt zwei Kinder und eine verzweifelte Frau. Nur bedingt versteht sie die Beweggründe, welche erneut zum Aufflammen des Konfliktes geführt haben. Was ihr jedoch klar ist, ist, dass für sie, wie für viele andere Familien im Land, eine Welt zusammengebrochen ist. Der Konflikt dreht sich dabei um Land, in welchem sich die letzten drei Jahrzehnte kaum jemand heimatlich fühlen konnte. Berg Karabach ist und war einer der ärmsten Teile des Landes, welcher jetzt wieder zu Azerbaidschan gehört. Der reiche Nachbar verfolgt große Ziele mit dem gebirgigen Flecken im Kaukasus. Auch wenn wir entlang der iranisch- azerbaidschanischen Grenze nur Leid und ausgeblutete Dörfer zu Gesicht bekamen.
Trotz oder wegen des Tief in der Seele des Landes verankerten Schicksals, zeigen sich die Armenier uns gegenüber stets offenherzig und aufgeschlossen. Der Reichtum des Landes wird einem besonders im Kontakt mit den hier lebenden Menschen bewusst. Obwohl offensichtlich jeder schauen muss, wie er das überleben sichert, werden wir häufig eingeladen oder mit Obst und Gemüse aus dem heimischen Garten beschenkt. Stets fühlt man sich herzlich willkommen und findet sich schnell in heimischer Umgebung, am Küchentisch, bei Tee und Gebäck und angeregten Gesprächen wieder.
Allein die Tatsache, dass wir hier Langzeiturlaub machen zeigt, dass wir uns mehr leisten können, als die meisten hier Lebenden. Trotzdem sind wir es, die beschenkt und eingeladen werden. Eine Eigenschaft die man sich für die Zukunft als Lehre bewahren sollte.
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