Das Einzugsgebiet des Firat, bei uns besser bekannt als Euphrat, wird als Wiege der Zivilisation bezeichnet. Mesopotamien, das historische Zweistromland, beginnt in der Südosttürkei. Der Mensch begann in diesem Gebiet vor dreizehntausend Jahren eine kulturelle Identität zu entwickeln. Ackerbau, Bier, der Ziegelstein, die Schrift, das Rad und erste Rechtssysteme wurden hier entwickelt. Euphrat und Tigris bilden dabei die natürlichen Grenzen um die, als fruchtbaren Halbmond bezeichnete, Region. Jene Gegend, in welcher laut Bibel das Paradies liegen solle. Sicherlich spielt die jüdisch- christliche Vorstellung dabei auch auf die Fruchtbarkeit der Region an, welche damals dem Wohlstand dieses Teil der Welt zu Gute kamen.
Ackerbau spielt in der türkischen Wirtschaft nach wie vor eine wichtige Rolle. Mit dem Ostanatolien Projekt soll die Nutzfläche und Prosperität dieser Region ebenfalls gefördert werden. Dazu wurden zweiundzwanzig Staudämme, neunzehn Wasserkraftwerke und unzählige Bewässerungskanäle errichtet. Die türkische Regierung hofft, auch die Situation in den Siedlungsgebieten der kurdischen Minderheiten wirtschaftlich etwas zu verbessern. Eine eventuelle Entschärfung des immer schwelenden Konfliktes durch eine Erhöhung des Lebensstandards und der Bereitstellung von sozialen Perspektiven, wird dabei ebenfalls erhofft.
Die Kraft dieses Projektes, welches immerhin einer Fläche der BeNeLux- Ländern entspricht, soll bis in die Nachbarländer ausstrahlen und auch dort Urbarmachung und Ackerbau fördern. Ob dies gelingen wird bleibt bisher fraglich. Schätzungen zufolge liegen ca. neunzig Prozent des Marschlandes, unter anderem wegen der Staudammprojekte, trocken. Eine zunehmende Desertifikation in den betroffenen Gebieten Syriens und Irak ist die Folge.
Dem wirtschaftlichen Wohl der Region und der Entwicklung der osttürkischen Provinzen wird auch so manches Kulturgut geopfert. So versinken in den Fluten der Staudämme nicht nur der Lebensraum vieler endemischer Pflanzen und Tiere, sondern auch die ein oder andere Siedlung. Manchmal auch eine Brücke, welche es zuvor geschafft hatte, fast zweitausend Jahre den Wassermassen zu trotzen.
Investiert wird natürlich auch in den hier schwächer vertretenen Tourismussektor. Davon profitierten auch wir. Nach den trockenen Vulkanebenen Kappadokiens, freut man sich über grüne Natur und Ruhe. Dies fanden wir im Baskonus Yaylasi Schutzgebiet. Ursprünglich als Jagdgebiet ausgezeichnet, hat sich hier eine endemische Bergvegetation erhalten können.
Auf dem von der Stadt Kahramanmaras betriebenen Campingplatz bleibt auch mal Muße um Wäsche zu machen, den Staub Kappadokiens aus dem Auto zu kehren, kleinere Reparaturen zu erledigen und die ein oder andere Wandertour zu begehen.
Tatsächlich scheint internationaler Tourismus hier eine solche Exotik auszustrahlen, dass auch direkt ein Fernssehsender anrückt, um ein Interview zu machen. Dabei dachten wir doch die Eichhörnchen und Hirsche im Wald sind die Attrakion dieser Gegend?!
Ein weiteres Beispiel der Staudammbaupolitik bildet das Dorf Halfeti. Nachdem der Euphrat aufgestaut wurde, versank das alte Dorf mit seinen Feldern im Wasser. Die Bewohner wurden in Retortensiedlungen auf den Höhen umgesiedelt. Mittlerweile wird die Gegend als beliebtes Ausflugsziel vermarktet, so verkehren Schiffe regelmäßig auf dem Stausee und man genießt die pitoresken Reste der alten Siedlung bei einem Tee. Diese Tatsache hat wohl auch schon ein österreichischer Hersteller von Aufputschgetränken einen Werbespot dort gedreht, wodurch die Gegend überregionale Bekanntheit bekam.
Darüber ist man hier natürlich stolz und kommt auch aus dem näheren Umland zu Mußestunden und dem ein oder anderen Fischgericht gerne hierher.
Wir fanden es auch nett im angrenzenden Mühlental ein wenig in der Natur zu bummeln. Dabei hatte Amaru offensichtlich keine Lust sich seine Turnschuhe nass zu machen.
Unbeeindruckt vom Touristenrummel auf dem Euphrat zeigt sich Bülent. Er züchtet in aller Ruhe seine Bienen und möchte sich dabei auch nicht stören lassen. Laut seiner Aussage ergibt sein Honig in Kombination mit den Pistazien seines Nachbarn, in den Händen seiner Frau das weltbeste Baklava. Er kann sich offensichtlich glücklich schätzen.
Weiter geht es durch eine von Monokulturen geprägte Landschaft.
Hier wachsen dank dem gestauten Wasser aus den Bergen, die von der Sonne verwöhnten Oliven und Pistazien.
Die von China cofinanzierten Autobahn, welche im Rahmen des Seidenstraßenprojektes2.0 die Region und den Hafen von Adana erschließen soll, bringt uns dabei zügig voran.
Wir fahren tiefer ins Zweistromland auf den Pfaden der ersten Ackerbauern und Siedlern der Menschheitsgeschichte. Auf einem Plateau in der Nähe Sanliurfas haben sich die Reste einer zwölftausend Jahre alten Tempelanlage erhalten. Der Göbekli Tepe genannte Hügel, bildet den archäologische Hotspot der Türkei. Die hier ansässigen Frühsiedler waren gerade aus dem Jäger und Sammler sein in eine Sesshaftigkeit übergegangen. Die Verehrung von Tiergottheiten bildete bei ihnen eine essentielle Rolle in ihrer Glaubensvorstellung. Wir sind vor allem von den vielen Reliefs an den tonnenschweren Stelen begeistert, wirken diese doch so plastisch und lebensecht. Man kann neben Vögeln und Skorpionen vor allem immer wieder Schakale erkennen. Auch feline Tiergestalten scheinen eine wichtige Rolle gespielt zu haben.
Die Provinzhauptstadt Sanliurfa, heute als Durchgangsstation der Islamisten in Richtung Syrien verschrien, hatte vor dem dortigen Krieg eine bessere Publicity. Angeblich soll es die Geburtsstadt des mysthischen Abrahams sein.
Der Stammvater der drei großen monotheistischen Weltreligionen, soll hier bis zu seinem siebten Lebensjahr gelebt haben. Wir freuen uns endlich den lang ersehnten Hauch des Orients spüren zu können. Hier wird die Türkei lebendig, laut und bunt. Mancher würde sagen turbulent und unübersichtlich. Die Stadt, welche auf eine fast ebensolange Besiedlugnsgeschichte wie Göbeklin zurückschauen kann, hat einen großen quirligen Basar, eine Festungsruine und ein verwinkeltes Altstadtviertel. Endlich bekommen wir auch was vom gerade stattfindenden Ramadan mit. In der Nacht werden wir mit Sufisprechgesängen in den Schlaf meditiert, am morgen lautstark vom Ruf des Muezzin geweckt.
Ein muslimischer Pilgertourismus zur Geburtshöhle des Stammvaters hat sich hier entwickelt. Man füttert die heiligen Karpfen im Teich oder die ebenso verehrten Tauben. Tiere als Segensboten mit der Hoffnung auf eine bessere, weil friedlichere Welt.
Da sich Abraham noch im hohen Alter von neunundneunzig Jahren beschnitten hatte, dürfen sich junge Muslime nun glücklich schätzen, nie unter Paraphimose leiden zu müssen.
Das muss natürlich gefeiert werden!
Bisher haben wir die kurdische Minderheit in der Türkei nur als Gastarbeiter im eigenen Land erlebt. Man begegnete ihnen auf Baustellen, im Straßenbau, bei Gärtnerarbeiten, gelegentlich in Hotellobbys. Jetzt befinden wir uns mitten unter ihnen, im von Kurden geprägten Teil der Türkei. Das Kennenlernen gestaltet sich anfangs etwas zaghafter, wirkt jedoch, sobald das Eis gebrochen ist, um so herzlicher. Beide Seiten haben dabei ein großes Interesse aneinander. Schnell wird es sehr familiär, zunehmend müssen wir dabei aufpassen nicht von einer kurdischen Familie adoptiert zu werden. Bei aller Herzlichkeit bleibt uns die Nähe zur syrischen Grenze jedoch stets im Hinterkopf. Die Bilder und negative Presse der letzten Jahre ist noch zu präsent.
Eine zunehmende Militär- und Polizeipräsenz, sowie überfüllte Flüchtlingslager ruft einem dies auch immer wieder ins Gedächtnis. Dabei fühlten wir uns dank unzähliger Papppolizisten jedoch stets gut beschützt. So traut sich kein negativer Geist ins türkische Staatsgebiet. Der Staat hat offensichtlich seine Hausaufgaben zum Thema Terrorismusbekämpfung gemacht!
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